Isaac Bashevis Singer: Verloren in Amerika
Isaac Bashevis Singer
Isaac Bashevis Singer wurde 1904 (oder 1902) in Polen geboren. Er wuchs in einem sehr gläubigen und traditionellen Haushalt als Sohn eines chassidischen Rabbiners auf, zunächst in Radzymin, dann in Warschau, im jüdischen Armenviertel um die Krochmalna. Mit 22 begann er zu schreiben.
1935 emigrierte Singer in die USA, wo er sich in New York niederließ. Bekannt wurde er ab den fünfzigen Jahren mit Romanen wie Gimpel, der Narr, Feinde, Geschichte einer Liebe, Der Zauberer von Lublin oder Jakob, der Knecht. 1978 erhielt Singer als bislang einziger jiddischer Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur. Er verfasste seine Romane und Geschichten ausschließlich zuerst auf Jiddisch und veröffentlichte sie zunächst in Fortsetzungen in jiddischen Literaturzeitschriften und im Forverts, worauf er sie in Teilauswahl für die amerikanische Fassung, die den weiteren Übersetzungen zugrunde lag, überarbeitete und lektorierte (er sprach von seinem „zweiten Original“).
Isaac Bashevis Singer starb 1991 in Surfside, Florida.
Verloren in Amerika
Das Buch erschien bei uns 1985 in der deutschen Übersetzung von Ellen Otten. Es ist die Zusammenfassung drei amerikanischer Ausgaben: „A Little Boy in Search of God“ (1976), „A Young Man in Search of Love“ (1978) und „Lost in America“ (1981). Und wahrhaftig spielen die beiden ersten Teile im Polen der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts und erst der letzte Teil spielt in den USA. Das autobiographische Buch ist eigentlich eine Fortführung von Singers Erzählungen „Eine Kindheit in Warschau“. Er selbst bezeichnet es als „Fiktion vor einem Hintergrund von Wahrheit“.
Der kleine Junge und später junge Mann ist ein äußerst grüblerischer und nachdenklicher Mensch, zeitweise der Kabbala und der Esoterik zugewandt, der nichts weniger versucht, als Gott und die Welt und das große Ganze und den Sinn der Schöpfung zu verstehen. Besonders treibt ihn die Frage um, wie dieses ganze Leiden auf der Welt mit Gottes Plan und Liebe vereinbar ist. Er ist melancholisch, menschenscheu und einsam, auch wenn er ständig wechselnde Beziehungen zu verschiedenen Frauen hat, die aber im Grunde genauso depressiv und einsam sind wie er selbst.
Mit Hilfe seines Bruder, der ein erfolgreicher Schriftsteller in New York ist, gelingt es ihm, ein Visum für die USA zu erhalten und rechtzeitig vor dem Einmarsch der Nazis nach Amerika auszureisen. Doch die inneren Dämonen, die Einsamkeit und die Depressionen leben hier genauso in ihm fort.
Ein wunderbares Buch, durchaus auch mit Witz und Humor geschrieben, das ein bewegendes und wichtiges Stück Zeitgeschichte beschreibt: das jüdische Leben in Polen vor dem Krieg, die verheerenden Verhältnisse für Juden in der frühen Sowjetunion, das Thema Emigration in die USA – die Schwierigkeiten, auch in äußerster Lebensgefahr überhaupt noch ein Visum zu erhalten, und das jüdische Leben in New York und Umgebung.