Markus Reinhardt und der Begriff „Zigeuner“
Update
Anläßlich des Rudolstadt-Festivals 2022 und des Auftritts von Markus Reinhardt auf der Heidecksburg ist hier ein Update zu dem Artikel von 2019, wo es um den Begriff „Zigeuner“ geht. Hier ist die Ankündigung im Programmheft des Festivals für das Markus Reinhardt Ensemble.
Schon vor 25 Jahren thematisierte Markus Reinhardt in einem Lied (Em Bloot): „Wie muss ich denn jetzt sagen? Sind Sie ein Sinti? Oder Roma?“ Die selbstbewusste Antwort (mit mehr Kölsch als Romanes in der Stimme): „Wir sind Zijeuner. Aus Ehrenfeld sind wir!“ Markus Reinhardt verwendet bewusst den alten Kulturbegriff, zumal die Korrektheitsphrase „Sinti und Roma“ Gruppen wie bspw. die Kalderasch, Kalé, Lovara oder Olah ausgrenze. Er ist stolz darauf, Zigeuner zu sein: „Ich stamme aus einer Musikerfamilie. Unsere Vorfahren sind über die Dörfer gezogen und haben in den Kneipen gespielt: Zu einer Zeit, als es noch keine Schallplatten und keine Philharmonie gab. Wir haben klassische Musik zu den Bauern gebracht. Zeitweise hatten wir sogar Diplomatenausweise. Denn wir waren es, die auch Nachrichten von Ort zu Ort transportiert haben.“ Er beklagt: „Wir wurden nicht gefragt, wie wir genannt werden wollen. Das haben immer andere über unsere Köpfe hinweg entschieden, nach dem Motto: ‚Wir wissen ganz genau, was gut für euch ist.‘ Das soll wahrscheinlich deren eigenes Gewissen beruhigen. Das stört mich.“ Markus Reinhardt steht als Musiker in der Tradition seines Großonkels Django Reinhardt, als Sozialarbeiter aber auch in der Kölner Realität des 21. Jahrhunderts. Deswegen spielt die Kapelle auch keinen Sinti-Swing, sondern Musik für das Hier und Jetzt. Zigeunermusik.
Wobei ich mir darüber im Klaren bin, dass die Sache zweischneidig ist, dass viele deutschsprachige Roma das z.B. ganz anders sehen. Aber ist gut, auch mal eine andere Sichtweise hervorzuheben. Wenn es um politisch korrekte Ausdrucksweisen geht, sind wir immer sehr schnell und bemüht, denn das ist so viel einfacher, als wirklich etwas zu ändern.
Hier ist der ursprüngliche Artikel vom 15.12.2019:
Es war ein langer und wunderschöner Abend in der Lutherkirche in der Kölner Südstadt. Den Anfang machten Kol Colé mit hebräischen, jiddischen und sephardischen Liedern, danach rockte das Markus Reinhardt Ensemble das Haus mit seinem Sinti Swing. Und schließlich eroberte Karsten Troyke mit Charme und Witz die Herzen des Publikums.
Als zum Schluss alle Musiker gemeinsam jiddische und russische Versionen von „Dance me to the End of Love“ und „Those Were the Days“ spielten, sang das Publikum begeistert mit und einige begannen zu tanzen.
Ein Dank nochmal an die Organisatoren, allen voran Markus Reinhardt und Jan Krauthäuser!
Fotos: Jan Krauthäuser
„Zigeuner“?
Schwierig. Ich zitiere zunächst mal Wikipedia:
„Die gewichtigeren nationalen und internationalen Interessenvertretungen der Roma lehnen die Anwendung des Begriffs auf Roma wegen der stigmatisierenden und rassistischen Konnotationen ab. Sie sehen das Wort im Kontext einer langen Verfolgungsgeschichte, die im nationalsozialistischen Genozid kulminierte.
Aus dem Sprachgebrauch deutschsprachiger staatlicher und nichtstaatlicher Verwaltung, der Justiz, großer gesellschaftlicher Institutionen wie der Gewerkschaften oder der Kirchen, internationaler Behörden und der Politik ist der Begriff „Zigeuner“ inzwischen verschwunden. Er wird auch in den Medien kaum noch gebraucht, mit Ausnahme von rechtsextremen Publikationen und ihnen nahestehenden Organisationen. Eigenbezeichnungen wie Roma oder Sinti haben andere Bedeutungen und andere Konnotationen als die Fremdbezeichnung. Sie lassen sich daher nicht mit ihr gleichsetzen, sondern lösen sie mit eigenständigen Inhalten ab.“
Markus Reinhardt, der ja nicht nur die Kölner Zigeunernacht, sondern auch das Zigeunerfestival im Sommer organisiert, sagt dazu: „‚Zigeuner‘ steht für uns für eine lange und reiche Kultur, auf die wir stolz sind. Und wir wollen uns diesen Begriff nicht von Rechten und Rassisten nehmen lassen.“ (nicht wörtlich zitiert)
Er als Sinti kann das sagen. Ich kann den Begriff „Zigeuner“ in diesem Zusammenhang benutzen, ansonsten bin ich auch sehr vorsichtig und zurückhaltend, ihn im öffentlichen Raum (z.B. in diesem Blog oder auf der Bühne) zu verwenden. Es ist schade, für das alte und internationale Wort „Zigeuner“ gibt es keinen Ersatz, der Sammelbegriff „Sinti und Roma“ ist eher eine Verlegenheitslösung und ziemlich unzureichend. Ungefähr so, als würde man alle Deutschen als „Bayern und Preußen“ bezeichnen.
Wie lange werden wir noch „Jude“ sagen? Schließlich gibt es hier auch genügend „stigmatisierenden und rassistischen Konnotationen“ und „Du Jude“ etabliert sich wieder als Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen. Also irgendwann Einknicken vor den rassistischen Sprachzerstörern und nur noch von z.B. „Hebräern“ sprechen?
Hallo Zusammen,
ich find Eure Einstellung zu dem Begriff echt Klasse. Wir planen in unserer, kleinen Wirtschaft in Bayern einen Abend mit „Zigeunermusik“ und Balkanspezialitäten. Am liebsten würde ich es auch Zigeunernacht oder Zigeunerfest nennen, aber vor lauter rumgedruckse weiss ich jetzt gar nicht mehr ob ich das „darf“. Für mich beinhaltet das Wort Temprament und Lebensfreude. Ich finde super, was Ihr macht.
Ohne den Begriff „Zigeuner“ wäre vieles in unserer Kultur undenkbar – angefangen vom Zigeunerschnitzel bis hin zu den bekannten Operetten „Zigeunerliebe“ (Lehar) oder „Der Zigeunerbaron“ (Strauß). Ich verbinde mit diesem Begriff nichts Abwertendes, sondern einfach nur geniale Musikalität und romantische Vorstellungen von Ungebundenheit und Freiheit!