Quotenregelung und Grenzen dicht
Flüchtlingspolitik 1938/39
Ich lese gerade ein sehr interessantes und sehr gut recherchiertes Buch: Geschichte der Remscheider Juden, von Jochen Bilstein und Frieder Backhaus, Verlag der Buchhandlung Hackenberg Wermelskirchen 1992.
Und beim Kapitel über die Emigration bzw. Flucht in den späten dreißiger Jahren, kann ich Parallelen zur heutigen Diskussion über Quotenregelungen für Flüchtlinge und Grenzzäune nicht übersehen.
Quoten, Forderung nach Vermögen und Bürgschaften, geschlossene Grenzen, das Zurückschicken der Flüchtlinge in den sicheren Tod: auch damals haben viele Länder ängstlich versucht, sich gegen die Flüchtlinge aus Deutschland abzuschotten. Ein beherztes „Wir schaffen das“ hätte vielen Tausenden von Menschen das Leben retten können.
Alle Texte sind Zitate aus dem obengenannten Buch.
USA
„Dieses Land hatte in den zwanziger Jahren Einwandererquoten eingeführt. … Eine Voraussetzung zur Erlangung eines Visums war das Beibringen eines Affidavits. Antragsteller, die kein ausreichendes eigenes transferierbares Vermögen besaßen, mit dem sie in den USA aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten, benötigten für ein Visum zur Einreise eine Bürgschaft (Affidavit) von Verwandten oder nahen Freunden in den USA, mit der diese sich unter Offenlegung ihrer Vermögensverhältnisse für die finanzielle Unterstützung der Immigranten verbürgen mußten. Dieses Affidavit war eine entscheidende Voraussetzung für die Berücksichtigung auf den Wartelisten, die bei den Konsulaten in Deutschland geführt wurden. Man erhielt eine Quotennummer und mußte warten, bis diese an der Reihe war. Die USA teilten den Bürgern der verschiedenen Staaten pro Jahr eine bestimmte Zahl von Einreisevisa zu. War diese Quote eines Jahres ausgeschöpft, mußten die Antragsteller auf eine Zuteilung im nächsten Jahr hoffen.“
„Gerda Freund wollte für sich und ihre Eltern eine Auswanderung in die USA in die Wege leiten. Sie hatte von einer Brieffreundin die Zusage erhalten, ein Affidavit zu bekommen. Diese Bürgschaft kam auch, statt eines Visums erhielt sie vom amerikanischen Konsulat in Stuttgart jedoch die Mittelung, dieses Affidavit gelte nur zwischen Verwandten. Sei der Bürge jedoch nur ein Bekannter, so müsse eine Zusatzbürgschaft gestellt werden. Dieses Papier erhielt sie jedoch nicht mehr rechtzeitig vor ihrer Rückreise nach Palästina … So mußte sie unverrichteter Dinge wieder abfahren. Sie ließ ihre Eltern zurück, deren Schicksal völlig ungewiß war. … Die Eltern konnten Deutschland nicht mehr rechtzeitig verlassen, sie kamen in einem Vernichtungslager in Polen um.“
Palästina / Großbritannien
„Schon die erste Station, Preßburg/Bratislava, die kurz vor Weihnachten 1939 erreicht wird, erweist sich als Alptraum. Weil die Donau zugefroren ist, weil die Veranstalter finanzielle Probleme haben, wegen der politischen Lage, müssen die jüdischen Auswanderer neun Monate in Lagern, bewacht von der Hlinka-Garde, der slowakischen SS, ausharren. Am 4. September 1940 legt die Flüchtlingsflotille endlich ab, vier gefährlich überladene Schiffe mit Juden aus Deutschland, Österreich, dem „Protektorat Böhmen und Mähren“. … In Palästina erwartet die Flüchtlinge jedoch nicht die Freiheit, sondern ein britisches Internierungslager. Von dort sollen die Einwanderer mit dem bririschen Dampfer „Patria“ zurück nach Europa gebracht werden. Die jüdische Untergrundorganisation „Haganah“ will dies vereiteln und bringt am Schiff eine Sprengladung an, um das Auslaufen zu verhinden. Die Sprengung führt jedoch zum Untergang des Schiffes. 300 Flüchtlinge kommen dabei um.“
Kuba
„Am 13. Mai 1939 verließ der Hapag-Dampfer „St.Louis“ mit etwa 1000 Passagieren den Hamburger Hafen. Sein Ziel war Kuba. … Als die „St.Louis“ in Havanna anlegte, weigerten sich die kubanischen Behörden, die jüdischen Flüchtlinge an Land zu lassen. Den Passagieren war tatsächlich nicht mitgeteilt worden, daß die Landungspermits der kubanischen Einwanderungsbehörde kurz vor dem Auslaufen der „St.Louis“ für ungültig erklärt worden waren. … Trotz des Angebots der jüdisch-amerikanischen Hilfsorganisation Joint mußte das Schiff wieder Kurs auf Hamburg nehmen.“
Schweiz
„Am 5. Oktober 1938 wurde (in Deutschland) eine „Verordnung über die Reispässe von Juden“ erlassen, wonach Reispässe von Juden nur dann gültig waren, wenn sie ein eingestempeltes „J“ enthielten. Den Anstoß für diese Maßnahme gab die Schweizer Regierung. Der Anschluß Österreichs hatte eine Fluchtwelle der dort lebenden Juden ausgelöst, die zu Reaktionen einiger europäischer Staaten führte. Vor allem die Schweiz war bemüht, ihre Grenzen für Juden aus Deutschland verschlossen zu halten.“
Anmerkung: obwohl die Schweizer Behörden Kenntnis von den Deportationen und der Ermordung deutscher Juden hatten, machte die Schweiz 1942 ihre Grenzen für Flüchtlinge „nur aus Rassegründen, z.B. die Juden“ endgültig zu.
Polen
„Auch die polnische Regierung wurde im Hinblick auf ihre im Ausland lebenden jüdischen Staatsangehörigen aktiv. Sie erklärte am 6. Oktober 1938, daß Auslandspässe polnischer Staatsangehöriger – dies waren in der Mehrzahl Juden – nur dann ihre Gültigtkeit behielten, wenn sie einen Kontrollvermerk trügen, der bis Ende Oktober und nur in Polen eingestempelt werde. Diese Entscheidung, mit der eindeutig beabsichtigt war, die polnischen Juden auszubürgern, brachte deutsche Regierungsstellen auf den Plan. …“